Die Tagung von 1928

Der Weltverband für das Liberale Judentum hielt, nachdem er 1926 in London gegründet worden war, 1928 in Berlin seinen ersten Kongress. Er musste sich nicht nur eine Verfassung geben, sondern auch vor der Öffentlichkeit bekunden, was er als seine Aufgabe betrachtete. Wenn man nach dem Echo urteilen darf, das der Kongress hervorgerufen hat, ist es gestattet ihn als voll gelungen zu betrachten. Er hat nicht nur eine grosse Schar treuer Anhänger des liberalen Judentums aus den verschiedensten Ländern und Erteilen zusammengeführt und ihre Begeisterung für die gute Sache noch gestärkt, sondern er hat auch auf die Gegner des liberalen Judentums einen tiefen Eindruck gemacht.

Das im Mittelpunkt der Verhandlungen stehende Thema gab Gelegenheit, nach den verschiedensten Richtungen hin die Frage zu erörtern, welche Bedeutung das liberale Judentum für den Menschen der Gegenwart besitzt, wie sich die geistige und sittliche Freiheit, die er in Anspruch nimmt, mit einer auf einer alten Urkunde beruhenden, von einer Gemeinschaft aufgenommenen und durch eine alte Geschichte hindurch getragenen Religion vereinbaren lässt.

Es ist nicht die Aufgabe des Weltverbandes, fertige Lösungen zu finden, es genügt, dass er die Probleme aufwirft und die Gelegenheit zu ihrer Erörterung bietet.
Nicht in der Antwort, sondern in der Frage liegt die wahre Freiheit, in der Frage, die zum Durchdenken und Vertieben der bisher gegebenen Antworten anregt

Und anregen soll der Weltverband, er soll zeigen, dass liberales Judentum etwas Lebendiges ist, etwas, was nicht auf fertigen Theorien und autoritären Aussprüchen beruht, sondern auf dem Ringen von Menschenseelen, auf der Auseinandersetzung mit dem geschichtlichen Leben. Liberales Judentum in Deutschland 10 Jahre später: Einen Eindruck vermittelt  Die Probleme sind nicht neu, es gibt auf diesem Gebiete enig Neues unter der Sonne, aber die Zeit ist neu und die Menschen sind neu, und darum heischen die Probleme neue Lösungen. Für diese Lösungen die reiche Glaubenserfahrung jüdischer Menschen, den ungeheuren Schatz jüdischer Frömmigkeit geltend zu machen – das ist das Ziel, wenn jüdische Menschen zusammenkommen, um die Lebensfragen des Judentums zu erörtern

Die Berliner Tagung vom 17. – 21. August 1928 mit ihren ernsten Verhandlungen und ihren geselligen Zusammenkünften werden alle, die an ihnen teilgenommen haben, als eine erhebende Erinnerung durchs Leben begleiten. Möchten auch diejenigen, die nur von ihnen lesen, etwas von der Begeisterung verspüren, die jene Veranstaltung trug! Es wird sicher zur Vertiefung und Verinnerlichung des Judentums und zur Kräfigung des noch jungen Weltverbandes für das liberale Judentum beitragen.

Prof. Dr. Ismar Elbogen, 1928

Geschichtliches

Das liberale Judentum entstand im 19. Jahrhundert in Deutschland aus der Suche nach einer religiösen Form, die den Wunsch nach bürgerlichen Gleichstellung ohne Aufgabe der jüdischen Identität entsprach. Das liberale Judentum brachte bedeutende Gelehrte und wichtige Institutionen wie die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums hervor und prägte mehrheitlich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, bis diese durch die Nazidiktatur vernichtet wurde.

Ein Überlebender erinnert sich

Das Jahr war 1928, und ich wurde damals 16 Jahre alt. Der Ort war Berlin. Mein unvergesslicher Vater (Jonas Plaut, geboren 1880) schlug vor, mit der Strassenbahn in die Stadt zu fahren (wir hatten natürlich kein Auto), um an einer internationalen Konferenz teilzunehmen. Die Organisation, die sie veranstaltete, hatte einen englischen Titel: „World Union for Progressive Judaism.“ Mein seliger Vater war sehr davon beeindruckt, und ich ebenso.

Erinnerungen der Enkelin von Rabbiner Dr. Leo Baeck

Ich bin Leo Baecks Enkelin. Eine meiner frühesten Erinnerungen besteht darin, dass ich meine Mutter zum Gottesdienst am Morgen des Shabbat in die Synagoge auf der Fasanenstraße begleitete. Wir saßen im vorderen Teil der Frauenempore. Mein Großvater predigte. Ich flüsterte meiner Mutter zu: „Warum trägt Großvater dieses lange schwarze Gewand, und warum verstehe ich nicht, was er sagt?“.

Überlegungen zur Weltunion des Progressiven Judentums

Als die Führer der Liberalen, Progressiven und Reformgemeinden in Europa, Nordamerika und anderen Teilen der Welt im August 1928 in Berlin zusammentrafen, um die erste internationale Konferenz der Weltunion des Progressiven Judentums abzuhalten, hatten sie sich kaum vorstellen können, dass die Weltunion 75 Jahre danach die größte jüdische Bewegung der Welt sein und in fast 40 Ländern mehr als 1,5 Millionen Mitglieder zählen würde.

    Name (Pflichtfeld)

    Email (Pflichtfeld)

    Telefon

    Ihre Nachricht

    Bitte übertragen Sie die dargestellten Zeichen in das untere Feld

    captcha

    Diese Webseite verwendet Cookies, um die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Mehr über Cookies und ihre Verwendung und wie Sie diese deaktivieren können, finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.