Chanukka, das Lichterfest

Chanukka, das Lichterfest

Chanukka, das Lichterfest 2560 1709 Union Progressiver Juden
Der Vorstand und die Generalsekretärin der Union progressiver Juden in Deutschland K.d.ö.R. wünschen allen Gemeindemitgliedern, Freunden und Freundinnen ein möglichst unbeschwertes Lichterfest. Chanukka sameach!

Foto: Inna Reznik / Alamy Stock

Hier eine Betrachtung von Ernst Ludwig Ehrlich (19212007) zu Chanukka

Chanukka, das Lichterfest

Von der Paradoxie jüdischer Existenz

Chanukka ist wahrscheinlich das merkwürdigste Fest in unserem jüdischen Festkalender und kennzeichnet auf diese Weise die Paradoxie der jüdischen Existenz. Es erinnert an den Freiheitskampf der Makkabäer. In zwei wichtigen Büchern ist Aufstand und Sieg der Makkabäer im Jahr 164 vor unserer Zeitrechnung beschrieben. Beide Bücher finden sich nicht im biblischen Kanon. Dennoch hat das jüdische Volk Chanukka als ein wichtiges Ereignis seiner Geschichte empfunden.

Es ist eines der relativ wenigen Anlässe in nachbiblischer Zeit, bei dem Juden einen Sieg über eine übermächtige Umwelt errangen. Dazu kommt, dass das Problem, um das es bei dem Chanukkafest geht, in der jüdischen Geschichte aktuell geblieben ist. Es handelt sich um die ständige geistige Bedrohung einer Minderheit, die eine Botschaft zu verkünden hat gegenüber einer Mehrheit – einer Mehrheit, die diese Minderheit wiederum geistig aufsaugen will. Chanukka erinnert daher an den Zusammenprall zwischen den verschiedenen Formen des Universalismus gegenüber dem Partikularismus, oder wenn wir es modern ausdrücken wollen: Es geht um die Erhaltung der jüdischen Identität. Damals war der Hellenismus die alles umfassende Kultur der Spätantike, für alle offen. Tradition und Einzigartigkeit der Juden stand dem im Wege. Diese Problematik lässt sich bis zum heutigen Tage jeweils mit anderen Inhalten durch die jüdische Geschichte verfolgen. Das letzte charakteristische Beispiel dafür ist der Marxismus als die übergreifende Einheit aller, die sich in dieser Lehre aufgehoben finden sollen, eine Doktrin, die jede partikularistische Abweichung bekämpft. Wir können ja auch nicht verschweigen, dass es bis in unsere Zeit christliche Strömungen gegeben hat, die das Judentum in sich selbst inkorporieren wollten, um auf diese Weise die jüdische Identität aufzulösen. Alle diese Strömungen behaupten, Juden könnten als Menschen dann besser existieren, wenn sie sich in ihrer Eigenart aufgeben.

Die Makkabäer behaupteten, dass ein Universalismus, der die Rechte des Individuums, anders zu sein, bestreitet, in Wahrheit eine totalitäre Ideologie sei. Insofern spiegeln die Ereignisse in der Zeit der Makkabäer den permanenten Kampf des Judentums um sein Überleben wider. Dennoch haben die Rabbinen des Talmuds ihr Fragezeichen gesetzt. Sie haben Chanukka nicht aus unserem Festkalender gestrichen, aber die Erwähnung von Chanukka im Talmud ist im Grunde eine Polemik gegen die Makkabäer und gegen manches, was das jüdische Volk mit diesem Lichterfest verbindet. Der knappe Text im Talmud Schabbat ist so eindrücklich in seiner Tendenz, dass er hier voll zitiert werden soll:

“Was bedeutet das Chanukkafest? Die Rabbinen lehrten: Am 25. Kislew beginnen die Tage des Chanukkafestes; es sind ihrer acht, an denen man keine Trauerfeier abhalten, noch fasten darf. Denn als die Syrer in den Tempel eindrangen, verunreinigten sie alle Öle, die dort waren. Nachdem sich die Herrschaft der Hasmonäer gefestigt hatte und die Syrer besiegt waren, fand man nach langem Suchen nur ein einziges, mit dem Siegel des Hohenpriesters versehenes Krüglein, in dem nur noch Öl für einen Tag war. Da geschah ein Wunder, und es brannte acht Tage lang. Im folgenden Jahre machte man diese Tage zu Festtagen mit Lob und Dankliedern.»

Um ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, was mit dieser talmudischen Legende gemeint sei‚ bestimmten die Rabbinen für die Haftara einen Text aus dem Propheten Sacharia, der ohnehin bereits an einem andern Schabbat im Jahr vorgetragen wird. Diese Lesung mündet aus in den folgenden Vers:

“Nicht durch Macht
und nicht durch Kraft,
allein durch meinen Geist
spricht der Herr der Scharen.

Das ist die Paradoxie jüdischer Existenz: Das Makkabäerbuch findet sich nicht im biblischen Kanon. Der Talmud besitzt keinen Traktat über Chanukka, wie er ihn etwa über Purim hat. Der Talmud berichtet von einem Ölwunder, von dem sich in den Makkabäerbüchern gar nichts findet, und die Rabbinen setzen dem die Krone auf, indem sie uns indirekt sagen, dass die militärische Kraft und Macht der Makkabäer nicht das Entscheidende sei. Natürlich ist dieser ganze geistige Prozess auf schmerzvollen Erfahrungen gegründet. Die späteren Hasmonäer kamen mit dem pharisäischen Judentum, den Vorgängern der Rabbinen, in schwere Konflikte. Die Hasmonäer ursupierten ein Hohepriestertum, das ihnen nicht zukam, sowie ein Königtum, das doch dem davidischen Geschlecht vorbehalten war. Das alles mag zum Zurückdämmen der Hasmonäer beigetragen haben.

Sicher haben Spätere das dann wieder zu korrigieren versucht, indem sie die Erfahrung des jüdischen Volkes in die Geschichte wieder einbrachten. Der Einschub des Chanukkaereignisses in das Achtzehn-Bitten-Gebet bringt den ganzen Vorgang ins Lot, stellt sozusagen eine Art von Ausgewogenheit wieder her. Nur sollte man dabei auch die Nuancen nicht verkennen. Es waren nicht die Hasmonäer gewesen, die das frevelhafte hellenistische Reich besiegten, sondern Gott selbst, wörtlich:

“Du in Deiner großen Barmherzigkeit
standest ihnen in der Zeit der Not bei.
Du hast ihren Streit gestritten,
Du hast ihnen ihr Recht widerfahren lassen,
Du gabst Stärke in die Hand von Schwachen,
viele in die Hand von wenigen…

Es ist also Gott selbst, der hier handelt, nicht die Makkabäer, die siegreiche Kriege gegen die Syrer ausfechten. Der Text im Achtzehn-Bitten-Gebet, unserer Amida, steht also zwischen dem lapidaren Ölwunderbericht und dem Heldenepos in den Makkabäerbüchern. Vielleicht hat die rabbinische Tradition dem Gedenken an die Makkabäer ein wenig Unrecht getan. Sie haben das Judentum schließlich in einer bestimmten Situation gerettet. Anderseits waren sich unsere Rabbinen bewusst, wozu militärische Macht und nationaler Größenwahn führen kann. Kaum bei einem anderen Fest spüren wir die Weisheit unserer rabbinischen Tradition so wie beim Chanukkafest, wenn sie sich zwar dankbar für die Errettung zeigt, aber weiß, dass militärische Siege allzu leicht dazu führen können, ein Volk aus dem Gleise zu werfen. Die spätere Geschichte der Hasmonäer, etwa mit der Annexion der Idumäer und deren Zwangsbekehrung, ist nur ein Beispiel unter vielen.

Die Hasmonäer haben gezeigt, dass Juden nicht nur beten, sondern auch kämpfen können. Die Rabbiner unseres Talmud haben uns vorgeführt, dass dieser Kampf sinnlos ist, wenn er dazu führt, das Gesetz Israels, unter dem es einst angetreten war, zu negieren. Tora und nationaler Chauvinismus schließen sich aus, wenn wir auch etwa erleben, wie die Tora missbraucht und manipuliert werden kann. So hat Chanukka in unseren Tagen wieder eine neue aktuelle Bedeutung erhalten: Ein Fest, in dem wir uns wieder erkennen und dessen Probleme längst noch nicht antiquiert sind. Wir lernen übrigens immer aufs Neue, wie wenig unser jüdischer Festkalender Archäologie ist, sondern existentielle Probleme unserer eigenen Gegenwart widerspiegelt.

Ernst Ludwig Ehrlich (1921 ‒ 2007)

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