Die Philippson-Bibel

Die Philippson-Bibel

Die Philippson-Bibel 2020 2400 Union Progressiver Juden

Die »Israelitische Bibel« des Rabbiners und Publizisten Ludwig Philippson (1811–1889) prägte das jüdische Leben des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Eine einzigartige Übersetzung, die die Wortwahl und Klangfarbe des hebräischen Originals flüssig und lebendig überträgt. Die behutsam revidierte Neu-Edition des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam enthält die fünf Bücher Mose und die Prophetenlesungen für die Sabbat- und Festtage, die Propheten sowie die Schriften. Ludwig Philippsons Anliegen, eine allgemein zugängliche jüdische Bibelübersetzung für den Haus-, Schul- und Synagogengebrauch zu veröffentlichen, wird erneut lebendig.

»Seine Gemeinde war die ganze deutsche Judenheit.«
Caesar Seligmann über Ludwig Philippson (1911)

Spätestens im frühen 19. Jahrhundert, in der Emanzipationszeit, wurde Deutsch auch zur Sprache der Juden in Deutschland. Für den Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft war sie unverzichtbar. Als Anfang der Achtzigerjahre des 18. Jahrhunderts die erste populäre Tora-Übersetzung erschien, diente sie vor allem der Verbesserung der Deutschkenntnisse ihrer Leser. Diese deutschsprachigen fünf Bucher Mose – hebräisch „Chumasch“, griechisch „Pentateuch” – stammten aus der Feder von Moses Mendelssohn (1729–1786). In seinem Vorwort zur ersten Auflage 1783 schrieb er: „Und es war, als Gott mir Söhne gab und die Zeit herankam, sie Tora zu lehren und das geschriebene Wort des lebendigen Gottes – da begann ich die fünf Bucher der Tora in ein gepflegtes und korrektes Deutsch zu übersetzen“ entsprechend dem heutigen Sprachgebrauch.” Das gesamte Werk wurde “Buch der Pfade des Friedens” (Sefer Netivot ha-Schalom) betitelt und noch in hebräischen Lettern gesetzt; nur der Genesis-Band – bearbeitet durch den Theologen Josias Friedrich Loffler und durch Mendelssohn selbst autorisiert – erschien 1783 auch in lateinischer Umschrift. Erst 1813 und 1815 – während der Befreiungskriege – wurde die ganze Mendelssohn-Tora auch in deutschen Lettern gedruckt.

Ein halbes Jahrhundert später war deutsche Sprachsicherheit kein Problem mehr. Dafür beherrschten jetzt immer weniger das Hebräische. Um die Fünf Bucher Mose, die Propheten, Psalmen und die anderen Schriften des Tanachs, der Hebräischen Bibel, zu lesen, griffen Juden immer häufiger zur allgegenwärtigen Lutherbibel. Die jüdischen Gelehrten waren sich einig, dass Martin Luther zwar die deutsche Sprache beflügelt, den hebräischen Urtext mit seinen Worten aber stark verfälscht wiedergegeben habe. Der liberale Magdeburger Rabbiner Ludwig Philippson bezeichnete Luthers Übersetzung 1859 als „einseitig, monoton und prosaisch, wo das Original viel- und tiefsinnig und voll Schwunges, voll Zartheit und Erhabenheit, voll Abwechslung und Biegsamkeit ist”. Er selbst hatte sich damals bereits einen Namen als Schriftsteller und Verleger der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, vor allem aber mit seiner eigenen Bibelausgabe gemacht.

„Die Bibel ist den neueren Juden abhanden gekommen – sie müssen sie wieder haben!“ ‒ Nach Josef Johlson, Gotthold Salomon und Leopold Zunz hatte sich 1839 auch Philippson zum Ziel gesetzt, eine Neuübersetzung des hebräischen Originaltextes der Tora ins Deutsche anzufertigen. In einer Zeit wachsender Aktivität christlicher Bibelgesellschaften und der Verbreitung von Missionsbibeln unter den Juden war ihm daran gelegen, eine Israelitische Bibel explizit für Juden und Jüdinnen herauszugeben und ihnen die Heilige Schrift wiederzugeben – für den Alltag im Schul-, Synagogen und Hausgebrauch. Zeitgenossen Philippsons beklagten damals sogar in den USA, dass die jüdische Bevölkerung “die heilige Schrift gar nicht kennt. Diesem Mangel abzuhelfen, ist daher das drängendste religiöse Bedürfnis der Gegenwart” (Rabbiner David Einhorn in der Zeitschrift Sinai, Bd. 5, Baltimore 1861, S. 162).

Das Projekt hatte Erfolg: Bereits die erste Gesamtausgabe – in drei Bänden, zweisprachig, mit Kommentaren, “möglichst wortgetreu, jedoch zugleich überall dem deutschen Sprachgenius entsprechend” und mit 500 Stahlstichen versehen – soll bis 1866 über 100.000 Mal gedruckt worden sein; daneben erschien eine unkommentierte, nicht illustrierte zweisprachige “Volksausgabe”. 1874 folgte noch eine “Prachtausgabe“ mit 154 Illustrationen von Gustave Doré, die auch die Hausbibel der Eltern von beispielsweise Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld wurde. Philippsons Israelitische Bibel prägte das liberale jüdische Leben des 19. Jahrhunderts; seinen orthodoxen Kritikern setze er 1874 entgegen, dass schon in der Zeit von Talmud und Midrasch „die freieste Bewegung der Auslegung gepflegt” wurde, und dass „im Judenthume niemals irgend eine Übersetzung oder irgend eine Auslegung eine unbedingte, gewissermaßen officielle Autorität erlangt” habe. Bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts war Philippsons Übersetzungswerk das populärste unter den deutschsprachigen Angeboten.

Seit 2015 hat der Freiburger Verlag Herder nun Band für Band neu in einer leicht revidierten Fassung veröffentlicht. Die Texte wurden überarbeitet und behutsam an den gegenwärtigen Sprachgebrauch angepasst. Philippsons Anspruch, die Worte so zu wählen und gegebenenfalls im Geist der deutschen Sprache zu kreieren, dass sie dem Ausdruck des hebräischen Originals nahekommen, trugen die Bearbeiter Rechnung; Änderungen betrafen beispielsweise Formulierungen, die wieder näher an das Original angelehnt wurden. So wurde etwa aus „Not der Belagerung” die Umschreibung „Engnis und Bedrängnis”, und der „Ewige” ist nun nicht mehr einzig, sondern einig.

Eingefasst in mittelblaue Balacron-Einbände erscheinen die drei Bücher in der Gestaltung betont sachlich, verglichen mit den zum Teil prachtvoll gestalteten Ausgaben vor der Nazizeit. So wie die Ausgaben des 19. und frühen 20. Jahrhundert enthalt der neue Philippson-Tanach auch den hebräischen Text. Er steht stets auf der rechten Seite, synchron dazu ist der deutsche auf der linken gedruckt. Die teils schon antiquierten Kommentare von Philippson sind ersetzt durch aktuelle Einleitungstexte eines internationalen Kreises renommierter Rabbiner und Bibelwissenschaftler. Sie ordnen die Art der Übertragung, den Inhalt und seine Geschichte knapp und auf gut lesbare Weise wissenschaftlich ein. Verantwortlich für die Revision ist ein Herausgeberkreis, dem Rabbiner Walter Homolka und Rudiger Liwak von der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam sowie Hanna Liss von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg angehören. Die Nachfrage ist groß. Es ist auch Ausdruck jüdischen Selbstbewusstseins, dass 2021 eine aktualisierte dritte Neuauflage als Beitrag zu 1.700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland erscheinen konnte.

Die Philippson-Bibel. Tora – Propheten – Schriften, hg. von Walter Homolka, Hanna Liss und Rüdiger Liwak, Verlag Herder, 1. Auflage 2021, Gebunden im Schuber, 3.388 Seiten, ISBN: 978-3-451-39036-4, Bestellnummer: P390369, 120,00 €.

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