Die Geburt eines Kindes ist für seine Eltern ein besonderer Augenblick. Das Judentum nimmt ihn als solchen wahr und bietet verschiedene Rituale an, die drei Ziele verfolgen: Es wird ein Raum geschaffen, in dem die Gefühle der Familie zum Ausdruck kommen können. Der Beginn der jüdischen Identität des Kindes wird betont. Die Gemeinde begrüßt das Kind, das ebenfalls ein Zuwachs der Familie Israels ist.
Beschneidung
Die Brit Mila (der „Bund der Beschneidung“) ist das älteste jüdische Ritual. In der aschkenasischen Aussprache des Hebräischen heißt es auch Bris. Es wird erstmals in Genesis 17,10-14 [Lech Lecha] erwähnt und kennzeichnet die besondere Beziehung zwischen Gott und dem jüdischen Volk. Für die Eltern ist die Beschneidung eine äußerliche Ausdrucksform des Glaubens und der Tradition, in die hinein das Kind geboren wurde und die sie ihm vermitteln werden. Sie findet am achten Tag nach der Geburt statt (der Tag der Geburt zählt als der erste Tag), auch wenn dieser Tag ein Schabbat oder ein Festtag ist. Die einzigen Gründe, die Beschneidung aufzuschieben, sind die Gesundheit und das Gewicht des Kindes. Mit der Beschneidung wird dann solange gewartet, bis das Kind gesund ist; in diesem Fall wird sie nicht an einem Schabbat oder Feiertag stattfinden. Die Person, die die Beschneidung durchführt, der Mohel, sollte fachlich ausgebildet sein, am besten ein Arzt oder ein Ärztin. Eine medizinische Beschneidung durch einen nichtjüdischen Arzt / Ärztin im Krankenhaus ist gültig, doch sie wird nicht empfohlen, da ihr jede Art von jüdischer Zeremonie fehlt. Hinzu kommt, dass es ein komplizierter Vorgang sein kann, der in diesem Fall von Ärzten durchgeführt wird, die im Allgemeinen in der Durchführung von Beschneidungen unerfahrener sind als die Mohalim. So weit dies möglich ist, findet die Brit Mila in der Wohnung der Eltern statt, wo sie sich am wohlsten fühlen werden, doch sie kann in gleicher Weise auch anderswo geschehen, in der Praxis des Mohels oder auch im Krankenhaus, wenn die Mutter noch immer dort liegt. Es spricht nichts dagegen, dass Frauen bei der Brit Mila anwesend sind, obwohl es ein Brauch ist, dass die Mutter aufgrund ihres eventuellen Mitleidens nicht dabei ist. Familienmitglieder oder enge Freunde können eine Aufgabe bei der Zeremonie übernehmen: die Kvatterin („Patin“) nimmt das Baby von der Mutter, bringt es in das Zimmer und überreicht es dem Kvatter („Pate“), der es dem Mohel übergibt. Während der Beschneidung wird das Kind von dem Sandek (Halter) gehalten. Der Vater gibt eine Erklärung ab und rezitiert einen Segensspruch. Die Antwort der Anwesenden weist auf die vielfältige Bedeutung dieser Zeremonie hin:
Gib, dass er denen Freude bereitet, die ihn erziehen. In Liebe und Weisheit möge man ihn die Bedeutung dieses Bundes lehren, in den er heute eingetreten ist, damit er nach Gerechtigkeit und Wahrheit strebt und auf den Wegen des Friedens geht. Dieses Kind möge erwachsen werden und ein Segen sein für seine Familie und für das Haus Israel und für alle Familien der Erde.
Das Kind wird durch die Beschneidung nicht jüdisch. Der jüdische Status entsteht allein dadurch, dass es das Kind einer jüdischen Mutter ist.
„Segnung des Neugeborenen“ für Mädchen und Jungen
Einige Wochen nach der Geburt eines Mädchens findet in der Synagoge eine besondere Zeremonie statt, in der die Eltern zum Thoraschrein gerufen werden und jeder ein Dankgebet spricht.
Das Gebet der Mutter (wenn beide Elternteile anwesend sind) enthält die Worte:
Während sie wächst an Körper und Geist, lass Worte der Wahrheit auf ihrer Zunge sein und Liebe zur Gerechtigkeit in ihrem Herzen. Lass sie ein Segen sein für alle um sie herum und lass sie Israel vor allen Menschen zu Ehren bringen.
Gott, sei mit mir und meinem Ehepartner; möge unsere Liebe zu unserer Tochter uns noch enger verbinden in Hilfsbereitschaft und Vertrauen.
Wenn nur ein Elternteil anwesend ist:
Während sie wächst an Körper und Geist, lass Worte der Wahrheit auf ihrer Zunge sein und Liebe zur Gerechtigkeit in ihrem Herzen. Lass sie ein Segen sein für alle um sie herum und lass sie Israel vor allen Menschen zu Ehren bringen.
Gott, sei mit mir in den vor uns liegenden Jahren. Gib mir die Kraft, für meine Tochter zu sorgen, und lass mich die nötige Unterstützung meiner Familie und Freunde erfahren.
Ist das Kind adoptiert, wird anstelle des Gebetes der Mutter zum Dank für seine Geburt ein besonderes Gebet gesprochen, in dem die Zuneigung zu diesem Kind im Mittelpunkt steht. Die Zuneigung zu diesem geschenkten Kind hat im Herzen der Eltern Neues geschaffen. Bei einer Adoption eines nichtjüdischen Kindes muß dessen jüdischer Status durch ein Bet Din geklärt werden (siehe dazu Kapitel IX.3).
Der Rabbiner / Die Rabbinerin spricht einen Segen über das Kind. Privat kann die Zeremonie zu jeder Zeit durchgeführt werden. Gewöhnlich findet sie jedoch in der Gemeinde im Rahmen eines Schabbat-Gottesdienstes statt.
Die Segnung der Neugeborenen unterscheidet sich von dem Verfahren in orthodoxen Synagogen, wo dem Vater im Schabbatgottesdienst nach der Geburt seiner Tochter eine Mitzwa gegeben wird, das heißt die Mutter wird dort nicht eingeschlossen. Möglicherweise ist sie nicht einmal anwesend, wenn sie sich immer noch nicht von der Geburt erholt hat. Auch das Kind ist nicht anwesend. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Zeremonie in den progressiven Gemeinden oft auch für Jungen zusätzlich zu ihrer Beschneidung durchgeführt wird. Dies geschieht zum einen, weil man die Geburt auch im größeren Rahmen der Gemeinde feiern möchte und zum anderen, weil die Eltern nun erholter sind als bei der Beschneidung und den Anlass entspannter miterleben können. Als Ausdruck ihrer Freude bieten einige Familien nach dem Gottesdienst einen besonderen Kiddusch an. Andere machen eine Spende für die Synagoge oder für eine Einrichtung, die sich besonders um das Wohl von Kindern kümmert. Eine weitere Möglichkeit ist, im Namen des Kindes einen Baum in Israel pflanzen zu lassen.
Wahl des Vornamens
In den vergangenen beiden Jahrhunderten haben Juden weltliche Vor- und Zunamen angenommen, nach wie vor jedoch auch an den davon unterschiedenen jüdischen Namen festgehalten. Der hebräische Name wird bei verschiedenen religiösen Anlässen gebraucht, zum Beispiel, wenn man zur Thora aufgerufen wird oder auf hebräischen Dokumenten wie einer Ketuba (Heiratsurkunde). Der jüdische Name eines Jungen wird ihm bei der Beschneidung gegeben, der eines Mädchens bei der Segnung in der Synagoge. Es gibt verschiedene Traditionen für die Wahl des Vornamens: nach verstorbenen Verwandten, um die Erinnerung an sie zu wahren (der aschkenasische Brauch), nach lebenden Verwandten, um sie zu ehren (der sefardische Brauch), oder die hebräische Übersetzung bzw. ein lautlich ähnlicher Name wie der säkulare Vorname.
Progressive Gemeinden führten die neue Tradition ein, dass der zweite Namensteil nicht nur den Vater, sondern auch die Mutter angeben sollte. Wenn zum Beispiel ein Sohn Daniel den Eltern Michael und Sara geboren wird, wäre sein hebräischer Name „Daniel ben Michael we-Sara“. Erwachsene, die nur den Namen ihres Vaters haben, können auf eigene Entscheidung den ihrer Mutter nachträglich ergänzen, wenn sie dies wollen. Wenn das Kind einen nichtjüdischen Vater hat, kann der zweite Name des Kindes den Namen der Mutter enthalten und zusätzlich entweder die hebräische Entsprechung des väterlichen Namens oder den Namen des Großvaters mütterlicherseits oder ersatzweise den Namen „Israel“. Stattdessen kann man auch nur den Namen der Mutter verwenden. In dem Bewusstsein, dass der jüdische Name keinen Anlass zu Verlegenheit geben sollte, schlagen wir vor, die verschiedenen Möglichkeiten in genau dieser Reihenfolge zu erwägen.
Loskauf des Erstgeborenen
In der Pidjon ha-Ben-Zeremonie („Loskauf des Erstgeborenen“) bringt der Vater seinen 31 Tage alten erstgeborenen Sohn zu einem Kohen und kauft ihn mit fünf Schekeln los. Diese Handlung erinnert an den besonderen religiösen Status von erstgeborenen Söhnen in biblischer Zeit, bevor sie durch die Leviten als religiöse Bedienstete ersetzt wurden (Numeri 3,40-51 [Bemidbar]). In progressiven Synagogen findet diese Zeremonie so gut wie nie statt, vor allem deshalb, weil die Rolle des Kohen wegen ihres problematischen Charakters abgeschafft wurde (siehe IX.7). Außerdem benachteiligt diese Zeremonie andere Kinder: die nachfolgenden Jungen oder ein erstgeborenes Mädchen und selbst einen erstgeborenen Sohn nach einer Fehlgeburt. Sie sind von der Zeremonie ausgeschlossen, obwohl sie gleichrangig sind und deshalb auch so behandelt werden sollten. Der Zweck der Zeremonie ist letztlich ohnehin eine rein äußerliche Angelegenheit ist, denn der Vater beabsichtigt nicht, seinen Sohn wirklich wegzugeben und ihn nicht auszulösen, – eine Handlung, die ohnehin keine rechtliche Gültigkeit hätte.
Nichtjüdische Kinder
Ein Kind mit einem jüdischen Vater und einer nichtjüdischen Mutter gilt als nichtjüdisch, da der jüdische Status gemeinhin durch die mütterliche Abstammungslinie erworben wird. Dennoch wird berücksichtigt, dass viele jüdische Väter an bestimmten jüdischen Traditionen festhalten wollen, vor allem daran, dass der neugeborene Sohn beschnitten wird. Die meisten progressiven Rabbiner unterstützen dies, da es eine zukünftige Konversion des Kindes, sei es noch als Minderjähriger oder im Erwachsenenalter, vereinfacht. In solch einem Fall führt ein Mohel die Beschneidung in der üblichen Art und Weise durch, ohne jedoch den Segen zu sprechen. Die Zustimmung der Mutter ist eine notwendige Voraussetzung. Der Mohel wird jedoch beide Eltern daran erinnern, dass die Beschneidung dem Kind keinen jüdischen Status überträgt. Es handelt sich um eine Beschneidung ohne Brit, ohne Eintritt in den Bund. Eine Segnung in der Synagoge kann erst dann stattfinden, wenn Mutter und Kind ins Judentum aufgenommen worden sind.
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